Die Sklavin des Sultans by Jane Johnson

Die Sklavin des Sultans by Jane Johnson

Autor:Jane Johnson [Johnson, Jane]
Die sprache: deu
Format: mobi
Herausgeber: Random House DE
veröffentlicht: 2012-08-19T22:00:00+00:00


VIERUNDZWANZIG

Kaum zwei Wochen nach dem Abkommen mit den Berbern wandte sich das Wetter gegen uns, und schreckliche Schneestürme fegten über die Berge. Die englischen Messingkanonen ließen wir zurück, nachdem wir die Ochsen, die sie den ganzen Weg vom Tafilalt zogen, hatten schlachten müssen. Als Nächstes aßen wir die wenigen Berberschafe, die wir vor uns hergetrieben hatten. Jetzt bleiben uns nur noch die Lasttiere, aber sie sind haram, wie die Imame erklären: Der Prophet hat verboten, sie zu essen; jedes Tier hat seinen ihm zugewiesenen Zweck, und Lasttiere werden geboren, um Lasten zu schleppen, nicht, um als Nahrung für Menschen zu dienen. Alles andere haben wir schon verzehrt, bis auf das Pferdegeschirr und das Zaumzeug aus Leder; das kommt vielleicht als Nächstes.

Als wir vom Hunger geschwächt sind, lassen sich die heiligen Männer schließlich zu der Erklärung herab, die Umstände seien derart kritisch, dass wir das Verbot, Maultiere und Esel zu essen, außer Acht lassen dürften. Großer Jubel bricht aus. Doch Ismail würde lieber verhungern, als gegen ein einziges Wort des Korans zu verstoßen. Deshalb verkündet er, zusammen mit seiner unmittelbaren Dienerschaft – wozu leider auch ich zähle – auf Essen verzichten zu wollen, bis wir wie durch ein Wunder wieder auf Nahrung stoßen, die rein ist. Ich fürchte, dass nicht wenige von uns in diesem Augenblick heimlich unseren Herrn verfluchten, obgleich sie das nicht laut sagen würden. Hier in den Bergen gibt es überall djenoun, die ihm die Nachricht zutragen könnten. Man sieht sie im Zwielicht oder auf dem Höhepunkt eines Schneesturms aus den Augenwinkeln: ein Aufscheinen von Licht, wo es kein Licht geben dürfte, eine matte Flamme im Dunkel.

Einige der für die Körperhygiene des Sultans zuständigen Sklaven stehlen sich nach dem letzten Gebet in das Lager der Soldaten und betteln um ein Stück Maultierfleisch. Ich erwische Abid, wie er die letzten Fleischfasern aus einem Knochen saugt, und als ich ihm verspreche, ihn nicht zu verraten, weint er beinahe vor Erleichterung. Um ehrlich zu sein: Mir fehlt einfach die Kraft. Es gibt Zeiten, da ginge ich am liebsten in den Schnee hinaus, legte mich hinein und überließe es seinen weißen Schwingen, mich wie die des Weißen Schwans ins Vergessen zu tragen.

Gerade als dunkle Erinnerungen über den Kannibalismus benachbarter Stämme mich zu verfolgen beginnen, ereignet sich das lange ersehnte Wunder. Einer unserer Jäger wankt mit einem Bergschaf auf den Schultern, das er auf den gefährlichen Gipfeln erlegt hat, ins Lager zurück. Der Sultan feiert seine Ankunft mit Lobpreisungen und Gebeten. Er bestaunt die auffallend geschwungenen Hörner und belohnt den Jäger mit einem Beutel voller Gold, das der Mann mit gebührender Dankbarkeit und einem traurigen Gesicht annimmt. Ismail sieht, dass der Mann für jede einzelne Münze lieber einen Bissen Lamm gehabt hätte, und schenkt ihm großzügig einen Teil der gerösteten Lammkeule, woraufhin der Jäger in Tränen ausbricht, sich vor dem Sultan niederwirft und ihn zum größten, mildtätigsten, göttlichsten und beliebtesten Herrscher erklärt, den Marokko je hatte. Ismail ist so entzückt, dass er den Mann eigenhändig aufrichtet und ihn zum Kaid erklärt, mit Anspruch auf einen gerechten Anteil aller Beute, die wir aus Sidschilmasa mitgebracht haben.



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